Dr. Rudolf Müller, OEM&Lieferant, im Gespräch mit Dr. Olaf Sauer, Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung, Karlsruhe

Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB ist eine Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft mit Sitz in Karlsruhe und weiteren Standorten. Der Forschungsschwerpunkt des Instituts liegt auf dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik bei industriellen Anwendungen.
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter dem Label „Manufacturing-X“ geplante Förderprogramm für die deutsche produzierende Industrie sowie neue gesetzliche Rahmenbedingungen auf EU-Ebene waren der Auslöser für Ihre Studie zur Situation der deutschen Fabrikausrüster-Branche. Warum haben Sie gerade diese Branche ausgewählt und was ist die generelle Zielrichtung Ihrer Studie?

Sauer: Die industrielle Produktion von Waren und Gütern ist Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Allein in Deutschland waren Ende 2021 knapp 7,6 Millionen Menschen unmittelbar in den Betrieben des verarbeitenden Gewerbes und der ausrüstenden Industrie mit 50 und mehr Beschäftigten tätig. Direkt und indirekt hängen sogar 15 Millionen der knapp 45 Millionen Arbeitsplätze in der Bundesrepublik von der produzierenden Wirtschaft ab. Die Produktionsstätten des gesamten produzierenden Gewerbes mit seinen verschiedenen Branchen werden durch Unternehmen geplant, gebaut und ausgerüstet, die wir in der Studie als Fabrikausrüster bezeichnen. Die Branche der Fabrikausrüster besteht wiederum aus den Teilbranchen des Maschinen- und Anlagenbaus, Komponentenanbietern, Systemintegratoren sowie Automatisierungs- und Softwareanbietern.

Welche Grundstrukturen kennzeichnen die Fabrikausrüster-Branche?
Sauer: Um ein möglichst greifbares Gesamtbild der Branche der Fabrikausrüster zeichnen zu können, wurden als Grundlage drei Kennzahlen herangezogen, und zwar Beschäftigte, Betriebe und Umsatz. Die Branche der Fabrikausrüster erwirtschaftete 2021 einen Umsatz von 313 Mrd. Euro. Über 50 Prozent des Branchenumsatzes wird dabei vom Maschinenbau und damit verbundenen Komponentenherstellern umgesetzt. Die Elektroindustrie erwirtschaftete lediglich 15 Prozent des Gesamtumsatzes. Auch bei der Anzahl der Beschäftigten liegen der Maschinenbau und die Komponentenhersteller vorne. Zusammen beschäftigen diese knapp die Hälfte der insgesamt 1,6 Mio. Beschäftigten in der Fabrikausrüsterbranche. Bei genauer Betrachtung der Zusammensetzung der Teilbranchen Maschinenbau und Komponentenhersteller fällt auf, dass 90 Prozent der aktiven Betriebe nicht mehr als 249 Mitarbeitende hat. Die Fabrikausrüsterbranche ist also hochgradig mittelständisch geprägt.

Wo steht die deutsche Fabrikausrüster-Branche im internationalen Vergleich?
Sauer: Leider ist die u.a. dafür maßgebliche Innovatorenquote in Deutschland seit Jahren langsam abnehmend. In China lagen die Investitionen in den maßgeblichen Branchen beim Doppelten des vergleichbaren deutschen Spitzenwertes. In den USA lagen die Investitionen für Forschung und Entwicklung in 2012 auf einem ähnlichen Niveau wie in Deutschland, stiegen aber seither kontinuierlich an. Um im globalen Wettbewerb mithalten zu können, ist es für die deutschen Ausrüster elementar, weiterhin mit hoher Initiative Innovationen zu generieren, mit denen sie anschließend nennenswerten Umsatz erzielen.
Das Narrativ „Deutschland verschläft die Digitalisierung“ wird in Presse und Öffentlichkeit gerne kolportiert. Trifft die Aussage auch auf die Fabrikausrüster-Branche zu?
Dr. Sauer: Leider trifft diese Aussage tatsächlich teilweise zu. Dies liegt nicht an einer nicht hinreichenden digitalen Infrastruktur. Alle dazu erhobenen Indizes belegen, dass Deutschland über eine gut ausgebaute und international wettbewerbsfähige digitale Infrastruktur verfügt. Dass die Optionen dieser Infrastruktur von den Betrieben nur schleppend umgesetzt werden, wirkt sich besonders deutlich auf Arbeitskosten und Produktivitätszahlen aus und führt zu einem wesentlichen Standortnachteil im internationalen Wettbewerb. Ein möglicher Grund für die verhaltene Digitalisierung ist die unterdurchschnittliche Digital-Qualifizierung deutscher Fachkräfte. Unsere Studie zeigt auch, dass Fabrikbetreiber merklich schlechter digitalisiert sind als ihre Ausrüster. Wesentliche digitale Innovationen in der Nutzung innovativer, intelligenter Maschinen und Komponenten, Geschäftsprozesse auf Basis von multilateralem Datenaustausch und neue Geschäftsmodelle bedingen ein Mindestmaß an abnehmerseitiger Digitalisierung, die derzeit nicht in ausreichendem Maß vorhanden ist und dringend aufgebaut werden muss.

Klimawandel, Pandemie, Energiekrise, Fachkräftemangel und politische Veränderungen haben in weiten Bereichen der Industrie den Blick auf lange stabile und resiliente Elemente und Systeme wie Lieferketten, Beschaffungsstrategien, internationale Produktionssysteme oder IT-Strukturen fundamental verändert und zu erheblichen Anpassungen der Geschäftsmodelle geführt.

Welche dieser Trends und Herausforderungen treffen auch die Fabrikausrüster-Branche im Hinblick auf politische, regulatorische, soziale oder technologische Anforderungen?
Dr. Sauer: Durch die enge Verzahnung der globalen Lieferketten sind die Verwirbelungen in den Lieferketten sehr deutlich. Noch immer sind 49 Prozent der Industrie von starken Lieferengpässen betroffen. Dies liegt an den Wechselwirkungen der einzelnen Vorfälle, einem hohen Sicherheitsdenken zur Absicherung der Produktion und den teilweise zu wenig koordinierten Abläufen in eng verzahnten Lieferketten. Zusätzlich zu den aus den Statistiken abgeleiteten und ernüchternden Erkenntnissen kommt hinzu, dass Deutschland – und hier vor allem der Maschinenbau – erheblich auf außereuropäische Vorleistungen angewiesen ist. Gerade der Maschinen- und Anlagenbau hängt über seine gesamte Wertschöpfungskette von Vorleistungen aus dem Ausland ab. Am Beispiel von China macht dies geschätzt 15 Prozent aus und damit doppelt so viel wie der Durchschnitt aller deutschen Industriebranchen. Die Unsicherheit über zukünftige geopolitische Entwicklungen hat die Fabrikausrüster dazu motiviert, verstärkt auf regionale Lieferanten zuzugehen oder Lieferanten aus politisch befreundeten Ländern auszusuchen. Bereits seit 2018 werden Handelskorridore mit dem Effekt aufgebaut, dass sich unabhängige Blöcke bilden, zum Beispiel der Aufbau einer eigenen Lieferkette für den chinesischen Markt und einer weiteren für die USA und EU, um dadurch Zölle oder ähnliche Handelshindernisse leichter zu überwinden. Aufgrund möglicher geopolitischer Blockbildung stehen Fabrikausrüster vor der Frage, ob sie weiterhin Material und Komponenten weltweit sourcen oder regionale Netze aufbauen. Die knappen und dadurch teuren Transportkapazitäten sowie CO2-Berechnungen zur Einhaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen beeinflussen diese Entscheidung zunehmend.

Was muss die Fabrikausrüster-Branche tun, um im Leitmarkt Anlagen- und Maschinenbau zukunfts- und international wettbewerbsfähig zu sein?

Dr. Sauer: Zukünftig benötigt der Markt modulare, für unterschiedliche Fertigungsaufgaben konfigurierbare Maschinen und Fertigungs- oder Montagelinien. Die Module sind je nach Fertigungsaufgabe konfigurierbar; sie enthalten einen ablauffähigen Steuerungscode, der zum dann lauffähigen Programm wird, wenn auch die übergeordnete Fertigungsaufgabe modellhaft beschrieben ist. Universelle und modular aufgebaute Betriebsmittel, zum Beispiel technologieflexible Werkzeugmaschinen, bieten auch einen guten Ausgangspunkt für digitale Funktionsfreischaltung im Sinn einer „soft-ware-defined-function“. Diese Maschinen bieten das Potenzial, aus standardisierten Modulen konfiguriert zu werden. Die deutsche Ausrüsterbranche muss die Potenziale aus Digitalisierung, Automatisierung und Modularisierung konsequent nutzen. Das multilaterale Teilen von Daten in Datenräumen ist – zumindest in Europa – ein neues Paradigma der Digitalisierung. Überhaupt werden neue Wertschöpfungspotenziale erst durch das Teilen von Daten sichtbar. Nur durch die Kombination heterogener Daten ist es möglich, die Anzahl fehlerhafter Teile systematisch zu reduzieren oder die Auslastung zu verbessern. Die Ausrüsterbranche sollte hier initiativ vorgehen und einen kollaborativen Datenaustausch im Netzwerk der Maschinen vorantreiben und Anlagenbetreiber nicht nur bei Bedarf unterstützen, sondern aktiv fördern. Dezentrale Datenökosysteme sind hierfür eine Schlüsseltechnologie. Sie ermöglichen neue Geschäftsmodelle wie pay-per-use, pay-per-part oder pay-per-value. Angebote wie PayZr zeigen, dass bei den Ausrüstern ein Wandel vom transaktionalen zum nutzenbezogenen Verkauf stattfindet.
Auch der klassische Engineering-Prozess in der Fabrik- und Anlagenplanung wird sich in Zukunft fundamental verändern. Vortrainierte KI-Modelle werden mit der Maschine oder den Komponenten ausgeliefert. Sie passen sich dann durch permanenten Abgleich mit den Laufzeitdaten selbst an. Auch hier sollten die Ausrüster Kompetenzen aufbauen und mit Partnern zusammenarbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch.