OEM&Lieferant Ausgabe 2/2020

12 Kfz-Teilemarkt Mit einem blauen Auge aus der Krise OEM&Lieferant im Interview mit Hartmut P. Röhl, Präsident des Gesamtverband Autoteile-Handel e.V. Der Gesamtverband Autoteile-Handel e.V. (GVA) ist der Branchenverband und die politische Interessenvertretung des freien Kfz-Teile-Großhandels in Deutschland. Darüber hinaus spricht er auch für die rund 2.000 Einzelhändler von Kfz-Ersatzteilen. Im GVA sind derzeit etwa 130 Handelsunternehmen mit über 1.000 Betriebsteilen sowie ca. 125 Kfz- Teilehersteller und Anbieter technischer Informationen organisiert. Die besorgniserregenden Prognosen zur Entwicklung der Automobilindustrie in- folge der Corona-Pandemie haben sich mehr als bestätigt. Die PKW-Produktion in Deutschland ging im Vergleich zum Vor- jahr um bis zu 66 Prozent zurück. Der für unsere Industrie so wichtige Export kam nahezu zum Erliegen. Welche Konsequen- zen hat Corona für den Kfz-Aftermarket? Hartmut P. Röhl: Die Corona-Krise hat unsere Branche bei weitem nicht so stark getroffen wie andere Teile der Automobilwirtschaft. Aufgrund des allgemeinen Lockdowns kam es natürlich zu Umsatzrückgängen. Da die Werk- stätten angesichts ihrer Systemrelevanz ge- öffnet bleiben konnten, hat sich das Geschäft danach wieder einigermaßen stabilisiert. Bezüglich der Umsatzentwicklungen zeigt sich auf einzelne Firmen bezogen ein recht uneinheitliches Bild. Die Rückgänge liegen in einem Korridor zwischen 5 und 20 Prozent. Insgesamt können wir sagen, dass unsere Branche vorerst mit einem blauen Auge aus der Krise gekommen ist. Vor allem konntenwir aber die Teileversorgung für unsere Kunden durchgehend aufrechterhalten. Das ist sicher ein Erfolg. Ein nicht unbeträchtlicher Teil Ihrer Mit- gliedsunternehmen ist mittelständisch ge- prägt. Kleinere undmittlere Unternehmen sind aufgrund ihrer finanziellen Struktu- ren imGegensatz zu Konzernunternehmen durch die ökonomischen Folgen der Co- rona-Krise besonders betroffen und teil- weise in ihrer Existenz gefährdet. Sehen Sie hier entsprechende strukturelle Verän- derungen im Kfz-Aftermarket oder halten Sie die Unterstützungsmaßnahmen von EU und Bundesregierung für ausreichend? Hartmut P. Röhl: Im Vordergrund steht an- gesichts der aktuellen Krise die Sicherstel- lung der Liquidität, da wir als Großhandel Teile bevorraten müssen und oftmals Kre- ditfunktionen für unsere Kunden erfüllen. Soweit wir das bisher überschauen können, ist dies unseren Mitgliedsunternehmen auch weitgehend geglückt. Schon sehr früh haben viele Großhändler in Voraussicht auf mögli- che Lieferengpässe der Teileindustrie ihre Lagerbestände erhöht. Wir profitieren heute von den Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008/2009. In deren Folge hatten unsere Mitgliedsunternehmen umfangreiche Ratio- nalisierungen vorgenommen und Prozesse deutlich verschlankt, was sie heute krisen- resistenter macht. Aktuell sehen wir keine strukturellen Veränderungen in der Branche durch Corona, was aber nicht heißt, dass es in der Folge nicht noch zu Anpassungen kom- men kann. Im Bereich der Digitalisierung gibt es hierzulande auf vielen Ebenen einen er- heblichen Nachholbedarf. Gerade im Hin- blick auf Dienstleistungen rund um das vernetzte Fahrzeug haben Sie in der Ver- gangenheit immer wieder den Zugang zu den Daten und Ressourcen im Fahrzeug angemahnt. Sehen Sie in diesem Bereich Tendenzen einer für Sie positiven Verän- derung? Hartmut P. Röhl: In der Tat können wir ein all- gemein gestiegenes politisches Interesse und auf Seiten des Gesetzgebers ein wachsendes Verständnis für unsere Positionen feststel- len. Insbesondere wird die Wettbewerbs- dimension des Themas zunehmend erkannt. Denn ohne Daten aus dem Fahrzeug gibt es kein Servicegeschäft. Allerdings verhalten sich die Fahrzeughersteller nach wie vor äu- ßerst zurückhaltend und führen neuerdings vor allem das Argument der Cyber-Security gegen die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Daten aus dem vernetzten Fahrzeug ins Feld. Die OEM behaupten, die von unse- rem Verband und vielen weiteren Vertretern der Automobilwirtschaft geforderte Offene Telematik Plattform im Fahrzeug würde es Hackern ermöglichen, die IT-Architektur des Fahrzeuges anzugreifen. Das ist reine Panik- mache, denn natürlich kann und muss man eine Offene Telematik Plattform im Fahrzeug sicher gestalten. Der freie Markt ist sich dieses Aspekts sehr wohl bewusst. Nur muss gelten, dass der Fahrzeughalter über alle von ihm mit dem Fahrzeug und von seinem Fahrzeug ge- nerierten Daten frei verfügen könnenmuss. Er muss die Wahlfreiheit haben, was damit ge- schieht. Nur dieser Grundsatz sichert fairen Wettbewerb. Die neuen Regeln zur Typengenehmigung sollen für Ihre Mitgliedsunternehmen bei der Identifikation von Ersatzteilen und Fahrzeugen positive Fortschritte bringen. Was sind Ihre Erwartungen für die Um- setzung? Hartmut P. Röhl: Die neue Typgenehmigungs- verordnung gilt unserer Auffassung nach in Bezug auf den Zugang zu technischen Infor- mationen, zu denen auch die Daten zur Fahr- zeug- und Ersatzteilidentifikation zählen, für den gesamten Fahrzeugpark ab der OBD-Ge- neration. Die Fahrzeughersteller zweifeln das an und vertreten die Auffassung, die neuen Regeln würden nur für nach dem 20.09.2020 zugelassene Fahrzeuge gelten. Die EU-Kom- mission bestätigt unsere Lesart. Sollte den unabhängigen Marktteilnehmern der Zugang zu den Daten zur Fahrzeug- und Ersatzteil- Bilder: © Gesamtverband Autoteile-Handel e.V. Hartmut Röhl

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