OEM&Lieferant Ausgabe 1/2023

Dr. Martina Fohr ist im Bereich Executive Search sowie Leadership Advisory für die globale Personalberatung Spencer Stuart tätig. Mit mehr als 70 Büros weltweit unterstützt Spencer Stuart die Suche nach den besten Führungspersönlichkeiten für eine bestimmte Rolle, abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse eines Unternehmens. Spencer Stuart arbeitet weltweit über alle Branchen und Funktionen hinweg. Interview Der Bedarf an ESG Führungskräften wächst substanziell als Konsequenz aus dem neuen Lieferkettengesetz Dr. habil. Martina Fohr von Spencer Stuart, Frankfurt im Gespräch mit Dr. Rudolf Müller, OEM&Lieferant Dr. Müller: Zum 1. Januar 2023 ist in Deutschland das Lieferkettensorgfalt spflichtengesetz – kurz: Lieferkettengesetz – in Kraft getreten. Es regelt die Sorgfaltspflichten von Unternehmen und verpflichtet diese zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards innerhalb ihrer Wertschöpfungskette - in Zeiten von ESG- und Compliance Management eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch war im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes die Diskussion hart und der Widerstand beträchtlich. Worum ging es in dieser Auseinandersetzung? Dr. Fohr: Das Gesetz leitet in Deutschland einen Paradigmenwechsel ein. Bislang war Corporate Social Responsibility freiwillig und eher „purpose“ getrieben – zukünftig sind die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben für Unternehmen bindend. Insoweit ist das Lieferkettengesetz ein weiteres Element im Spektrum der sog. ESG (Environment,Social,Governance) – Kriterien, die den unternehmerischen Handlungsfokus über die rein ökonomische Sichtweite hinaus erweitern. Aber sind potenzielle Bußgelder der einzige Treiber? Dr. Fohr: Nein, sicher nicht. Auf Unternehmen nimmt aus den verschiedensten Perspektiven der Druck auf die Einhaltung von ESG Kriterien zu. Immer mehr Kunden – zum Beispiel in der Logistikindustrie – erwarten im Standard CO2 Reportings für ihr Geschäft und ent- sprechende Optimierungsansätze. Dies Spencer Stuart www.SpencerStuart.com führt dazu, dass beispielsweise Assets in der Logistik anders gemanagt werden müssen. Alternative Antriebe, HVO, Routingoptimierung, stärkerer Einsatz von Intermodalverkehren sind hier nur einige Beispiele, denen sich Logistiker stellen müssen. Auch Finanzinstitute, Private Equities und Investoren rücken ESG immer stärken in den Vordergrund. Larry Fink, CEO von Blackrock, dem weltweit größten Asset Manager, geht sogar so weit, nicht mehr in Unternehmen investieren zu wollen, die Sustainability Risiken birgen. Das Gesetz ist zunächst verpflichtend nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten anzuwenden. Ab 2024 sinkt die Anwendungsschwelle dann auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigte. Dr. Fohr: Gelistete Firmen beschäftigen sich bereits seit Jahren mit diesen Themen. Nun erreicht das Thema aber auch den breiten Mittelstand. Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik sieht den Digitalisierungsgrad von Unternehmen in engem Zusammenhang mit der Einhaltung von CSR (Corporate Social Responsibility) – Kriterien, Lieferkettengesetz und Nachhaltigkeitszielen. Laut der Studie hätten jedoch 97 Prozent der KMUs und knapp 45 Prozent der mittelständischen Großunternehmen noch Nachholbedarf im Bereich Digitalisierung. Dies lässt vermuten, dass es auch im Bereich ESG noch Verbesserungsbedarfe gibt. Verfügen unsere Unternehmen über die entsprechenden Ressourcen oder besteht hier Nachholbedarf. Dr. Fohr: Konzerne haben in den letzten Jahren stark in entsprechende Ressourcen investiert. Am Anfang waren auch Kosteneinsparungen ein Anreiz. Streckenoptimierung in der Supply Chain führt zwangsläufig zu geringeren Verbräuchen. Längst wurde die Beleuchtung durch LEDs ersetzt. Nun erreichen die Themen aber zum Beispiel Fragen zur Verfügbarkeit von Biofuel, Sustainable Cities oder Werke uvm. Gefragt sind daher zum einen ESG Top Experten, die ein Unternehmen auf ein neues Level oder eine Marktführerschaft, zum Beispiel im Bereich Sustainability heben können. Zum anderen aber wächst auch insgesamt die Nachfrage nach ESG Experten, weil die Anzahl an Unternehmen, die ESG als essentiellen Teil ihrer zukünftigen Unternehmensstrategie sieht, weiter wächst. Wo finden Sie diese Experten in der Regel? Dr. Fohr: Wir sehen zum einen Vorreiterindustrien, die sich schon lange Jahre aus verschiedensten Gründen mit ESG befasst haben und einen Wissensvorsprung haben. Dies können Industrien sein, die Circular Economy Ansätze verfolgen, die CO2 Reduktion schon länger betreiben oder Lieferkettenthemen bei Produktionsvergaben in Niedriglohnländern auch schon vor der Gesetzesinitiative berücksichtigt haben. Auf der anderen Seite stellen wir jedoch auch geografische Schwerpunkte fest. Insbesondere in Skandinavien ist ESG weit fortgeschritten. Bild: © Spencer Stuart Dr. Rudolf Müller

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