unternehmen & trends DIGITAL 1/2021
Herr Dr. Sauer, was verbirgt sich hinter dem Thema „Forschungsfabrik“? Was kann man sich darunter vorstellen und was ist die tragende Idee? Dr. Sauer: Die Karlsruher Forschungs- fabrik ist eine Initiative des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Fraunhofer Gesellschaft, die gemein- sam ein Gebäude errichten, das am 30. April 2021 in Betrieb gehen wird. Die Idee dahinter ist, dass wir Produktionspro- zesse, die man nicht mehr bis zum Ende ausspezifizieren kann, zur Serienreife bringen. Wir stellen angesichts der ak- tuell bestehenden Herausforderungen wie zum Beispiel Marktschwankungen oder einer immer höheren Zahl von Pro- duktvarianten fest, dass Ingenieure Pro- duktionsprozesse nicht mehr vollständig ausspezifizieren können. Früher hat man Produktionsprozesse geplant und daraus Anlagen abgeleitet, diese Anlagen ausge- plant, konfiguriert, zusammengebaut und in Betrieb genommen. Heute laufen diese Schritte parallel ab. Wir versuchen, in der Forschungsfabrik noch nicht vollständig spezifizierte Prozesse trotzdem zum Lau- fen zu bringen und dennoch gleichzeitig qualitativ hochwertige Produkte zu er- zeugen, damit man mit einem neuen Pro- zess für ein neues Produkt sehr schnell am Markt sein kann. Das ist die Idee der Karlsruher Forschungsfabrik. Das heißt, die Karlsruher Forschungsfa- brik ist keine virtuelle Denkfabrik, son- dern ein reales Gebäude, das in Karls- ruhe errichtet wird, wo Forschung und Fertigungsprozesse wirklich ablaufen werden. Können sie uns etwas über ihre Partner sagen und welche Branchen sie adressieren? Sauer: Wir sind in der glücklichen Lage, dass das KIT mit dem Campus-Ost über ein weitgehend unbebautes Gelände verfügt, auf dem wir gemeinsam auf ca. 5.000 m2 eine reale Fabrik errichten. Wir sind drei Partner, die hier zusammen ar- beiten: das Fraunhofer Institut für che- mische Technik ICT – Spezialisten für Werkstoff- und Verfahrenstechnik. Diese arbeiten u.a. daran, Werkstoffe zu kombi- nieren, Fertigungsprozesse zu entwickeln und Anlagentechnik zu spezifizieren, de- ren Steuerung und Reglung noch zu ent- wickeln ist. Dies ist von Bedeutung vor al- lem auch beim Thema Leichtbau, das wir schwerpunktmäßig adressieren, bei der flexiblen Batteriemodul-Montage aus ein- zelnen Batteriezellen und der varianten- flexiblen Herstellung von Elektromotoren. Weiterer Partner ist das KIT mit seinem Institut für Produktionstechnik (wbk). Dies sind Fachleute, die sich detailliert mit Ma- schinen und Anlagen auskennen, intelli- gente Maschinenkomponenten entwickeln und dann für die Prozesse, die das ICT für die verschiedenen Werkstoffe erforscht, Anlagen aufzubauen, zu verketten, zu au- tomatisieren und Qualitätssicherungssys- teme einzurichten. Hinzu kommt noch die Kompetenz der Informationstechnik. Die stellt das Fraunhofer Institut IOSB, aus dem ich komme. Wir kennen uns darin aus, welche Aktorik und Sensorik gebraucht wird und wie man solche Prozesse regelt, sie automatisiert und dann später mit IT überwacht. Und unsere These ist: Wenn wir solche unreifen Produktionsprozesse, die man noch nicht vollumfänglich ver- steht, zum Laufen bringen wollen, müs- sen wir durch umfängliche Instrumentie- rung möglichst viele Daten generieren und daraus lernen, an welchen Schrauben im Prozess man drehen muss, damit am Ende qualitativ hochwertige Produkte ent- stehen. Mit Maschinellem Lernen und KI versuchen wir, das zu unterstützen. Dies sind die drei Disziplinen, die wir brauchen: Werkstoff- und Verfahrenstechnik, dafür erforderliche Produktionstechnik und die unterstützende Informatik und IT, damit aus diesen drei Komponenten ein gemein- sames Gebilde wird. Wie kommt es zu diesen unreifen Ferti- gungsprozessen? Sauer: Unreife Prozesse sind Prozesse, für die keine vollständige Tabelle mit Pro- zessparametern existiert, die man an den ein- zelnen Anlagen und Komponenten einstellen Oliver Schonschek im Interview mit Dr. Olaf Sauer Embedded Scientists in der Karlsruher Forschungsfabrik Interview mit Dr. Olaf Sauer vom Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe Wie steht es um Industrie 4.0 in Deutschland? Laut Digitalverband Bitcom sehen mehr als jedes fünfte Unter- nehmen Deutschland bei Industrie 4.0 weltweit auf einer Spitzenposition hinter den USA aber noch vor Japan und China. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist als ein Hochlohnland in besonderemMaß auf seine Innova- tionskraft bei der Entwicklung neuer Produkte und Prozesse angewiesen, um seine Position im internationalen Wettbewerb zu stärken. Eine Spitzenposition bei Industrie 4.0 ist nur mit weiterer Forschung und schnellen Innovationen möglich. Die Karlsruher Forschungsfabrik und ihr Konzept des ‚Embedded Scientist‘ sind dafür herausragende Beispiele. 14 T E I L E N Bilder: © IOSB Oliver Schonsckek Dr. Olaf Sauer
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