OEM&Lieferant Ausgabe 2/2021

22 Digitalisierung im Anlagen- und Maschinenbau Der Maschinenbau braucht mehr Dampf bei der Digitalisierung! Von Dr.-Ing. Olaf Sauer, Geschäftsfeld Automatisierung/Stellvertreter des Institutsleiters Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau rüstet weltweit erfolgreich Produktionsstätten und Fabriken aus. „Made in Germany“ steht seit Jahrzehnten für die Qualität deutscher Ingenieurleistungen. Allerdings stehen die deutschen Maschinenbauunternehmen und ihre Ingenieure zunehmend im internationalen Wettbewerb – mit dem bekannten Druck hinsichtlich Kosten bzw. Preis, Zeit und Qualität. Gleichzeitig stellt die Digitalisierung die Hersteller von Produktionsanlagen vor neue Herausforderungen: nach unserer Erfahrung aus vielen Projekten liegt sie darin, gleichzeitig neue Produkte, neue Prozesse – einschließlich derjenigen, mit denen ein Unternehmen zu Innovationen kommt – und geänderte oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Hochproduktive und zuverlässige Maschi- nen und Anlagen zu liefern, mit denen welt- weit qualitativ hochwertige Produkte her- gestellt werden, wird zukünftig allein für den Geschäftserfolg des Maschinen- und An- lagenbaus nicht mehr ausreichen. Vielmehr kaufen Kunden Nutzen, im Extremfall nur noch das mit der Maschine oder Anlage her- gestellte Produkt. Damit rücken für Maschi- nen- und Anlagenbauer produktbegleitende Dienstleistungen rund um die eigentliche Maschine in den Fokus. Nach einer Studie des Ifo-Instituts für die Europäische Kom- mission stärken diese zusätzlichen Leistun- gen die globale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus: Sie sorgen für neue Wertschöpfung und schaffen damit Arbeitsplätze für hochquali- fizierte Mitarbeiter. Dienstleistungen rund um die Maschine ermöglichen außerdem neue Geschäftsmodelle, die weniger an- fällig sind für Absatzschwankungen und Investitionszyklen. Schlüssel zu solchen neuen produkt- begleitenden Dienstleistungen sind Infor- mations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Sie durchdringen den traditionellen Maschinen- und Anlagenbau immer stär- ker und schaffen Potentiale für innovati- ve Dienstleistungen. Allerdings sind viele Maschinen- und Anlagenbauer auf die neuen IKT-basierten Leistungen noch nicht systematisch vorbereitet. Verschiedene Studien behaupten, weniger als 10% der Unternehmen des Maschinenbaus hätten eine explizite Strategie, welche Internet- basierten Dienstleistungen sie auf- und aus- bauen werden. Noch weniger der gleichen Unternehmen verfügen offenbar über ein passendes Geschäftsmodell. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, zumal Soft- ware zukünftig zum eigenständigen Be- standteil des Produktportfolios werden wird – mit den Herausforderungen eines profes- sionellen Softwareentwicklungsprozesses, Qualitätssicherung für Software, Modelle für Software-Wartung und -Service bis hin zur Anpassung der Vertriebsorganisation, die IKT-Produkte und deren Nutzen verkaufen kann. Fraunhofer hat langjährige Erfahrungen beim Design, der Entwicklung sowie der Auslieferung und Einführung komplexer Sof tware-Systeme in der produzieren- den Industrie. Dass die einer Software zu- grundeliegende Architektur maßgeblich die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der IT- Lösung bestimmt, hat Fraunhofer in vielen Projekten für die verarbeitende Industrie immer wieder nachweisen und einbringen können. Software-Komponenten, z. B. Por- tale zum Fernzugriff auf Maschinen und Anlagen oder Kapazitätsmarktplätze, sind heute komplexe und daher professionell zu konzipierende Lösungen, wobei die Ent- wicklung des reinen Softwareprogramms daran nur einen kleinen Anteil hat. Um mehr und neues Dienstleistungs-Ge- schäf t generieren zu können, müssen Maschinen- und Anlagenhersteller Platt- formkonzepte professionell umsetzen. Die folgende Liste skizziert einige Beispiele für aktuelle benötigte IKT-Kompetenzen im Ma- schinen- und Anlagenbau. Produktionsnahe IT-Systeme, die Ma- schinen und Anlagen im Betrieb mit Auf- tragsreihenfolgen versorgen bzw. von den Maschinen Daten gemeldet bekommen, ent- wickeln sich zu Datendrehscheiben in den Fabriken der Zukunft. Mit ihnen müssen sich Maschinen- und Anlagen verbinden – mög- lichst schnell und effizient. Für Maschinen- bauer heißt dies, ihre maschineninterne Softwarearchitektur so zu konzipieren, dass Selbstbeschreibungen von Komponenten und der kompletten Maschine und deren Peripherie auf Basis einer standardisierten Semantik existieren. Nur so lassen sich Mechanismen zur Autokonfiguration und damit letztlich Wandlungsfähigkeit von Fab- riken erreichen. Fraunhofer unterstützt Ma- schinen- und Komponentenhersteller dabei, existierende Standards wie OPC UA, Auto- mationML™ oder ECLASS effizient zu nut- zen, praxistaugliche Informationsmodelle und sichere IT-Architekturen aufzubauen oder interoperable Digitale Zwillinge zu Bild: © IOSB Dr.-Ing. Olaf Sauer

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