OEM & Lieferant Ausgabe 2/2019 - OEM & Supplier 2/2019 by VEK Publishing

44 IT und Automotive Selbstorganisation als Steuerungs- prinzip in der modularen Automobil- produktion Von Dr.-Ing. Olaf Sauer, Geschäftsfeld Automatisierung/Stellvertreter des Institutsleiters Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe EinerderAnwendungsfällevon Industrie4.0 istdie ‚SelbstorganisierendeProduktion‘. Schon indenerstenDokumenten zu Industrie 4.0 findet sich die Vision, dass „intelligente Produkte (…) durch ihre Ad-hoc-Vernetzungsfähigkeit sowie durch Mitführung einer digitalen Produktbeschreibung dazu befähigt (sind), sich eigenständig durch die Produktion zu steuern“ [1] . In einigen Fabriken sind schon erste Anwendungsbeispiele zu sehen, wenn zum Beispiel fahrerlose Transportsysteme (FTS) Werkstücke zum nächsten freien Montagearbeitsplatz transportieren. Umdie Jahrtausendwendewar diese Idee einer selbststeuernden Produktion schon einmal aktuell, ausgelöst von der damaligen Techno- logie sog. Softwareagenten [2, 3]. Aus vielerlei Gründen hat sich diese Technologie zur Ferti- gungssteuerung jedoch nicht durchgesetzt. So waren die Rechnerleistung und das Vertrauen in selbstorganisierende Einheiten in der Fabrik zu gering. Die Automobilindustrie hat in Karosseriebau, Lackierung und Montage seit längerem das Steuerungsprinzip der Perlenkette [4] einge- führt, und zwar durchgängig bis zur soge- nannten Just-in-Sequence-(JIS)-Anlieferung von Bauteilen, die der jeweiligen ‚Perle‘, also einem konkreten Fahrzeug, zugeordnet sind. Durch die zunehmende Vielfalt von Fahr- zeugtypen, -varianten und -derivaten stößt dieses Prinzip allerdings an Grenzen. Der Platz zur Teilebereitstellung am Band, die Austaktung auf eine mittlere Taktzeit und der schwankende tatsächliche Arbeitsinhalt eines konkreten Taktes sowie die Forderung nach hoher Wandlungsfähigkeit erfordern neue Steuerungsprinzipien. Ohnehin ist der sog. Geradeauslauf und die strikte Einhal- tung der Perlenkette zwischen Karosserie- bau und Montage meist in der Lackierung aufgehoben, weil dort Farbblöcke gebil- det werden; die Reihenfolge muss dann in einem Karossenspeicher mit wahlfreiem Zu- griff nach der Lackierung wiederhergestellt werden. Vor allem die Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 hat verdeutlicht, dass die instal- lierte Basis an Produktionstechnik und Steue- rungsprinzipien der Automobilhersteller bei schwankendem Absatz zu einem Problem bei der Deckung der Fixkosten führen kann. Vor allemdie aktuell eingesetzten automatisierten Betriebsmittel sind dafür die Ursache. Sie sind auf spezielle Baureihen, Motorvarianten oder Montageumfänge ausgelegt und zu unflexi- bel, um im Extremfall, d.h. bei ausbleibender Auslastung, anderweitig genutzt werden zu können. Dieser Herausforderung muss die Automobilproduktion in den kommenden Jahren begegnen. Es ist also für die zukünftige Automobilpro- duktion erforderlich, automatisierte Anlagen zu flexibilisieren, z. B. durch stärker universell einsetzbare Betriebsmittel, und/oder Ferti- gungslinien so zu modularisieren, dass ska- lierbare universelle Betriebsmittel schnell und ohne hohen Engineering-Aufwand für neue Bild 1: Digitalisierung der Wertschöpfung: Treiber und unterstützende Technologien der zukünftigen Automobilfertigung Dr. Olaf Sauer Bilder/Grafiken: © IOSB Bild 2: Mögliche Geschäftsmodelle für Automobilfertigung der Zukunft (Perspektive 2030) [6]

RkJQdWJsaXNoZXIy MjUzMzQ=