OEM & Lieferant - Ausgabe 1/2021

28 Industrie 4.0 Oliver Schonschek im Interview mit Dr. Olaf Sauer Embedded Scientists in der Karlsruher Forschungsfabrik Interview mit Dr. Olaf Sauer vom Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB), Karlsruhe Wie steht es um Industrie 4.0 in Deutschland? Laut Digitalverband Bitcom sehenmehr als jedes fünfte Unternehmen Deutschland bei Industrie 4.0 weltweit auf einer Spitzenposition hinter den USA aber noch vor Japan und China. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist als ein Hochlohnland in besonderem Maß auf seine Innovationskraft bei der Entwicklung neuer Produkte und Prozesse angewiesen, um seine Position im internationalen Wettbewerb zu stärken. Eine Spitzenposition bei Industrie 4.0 ist nur mit weiterer Forschung und schnellen Innovationen möglich. Die Karlsruher Forschungsfabrik und ihr Konzept des ‚Embedded Scientist‘ sind dafür herausragende Beispiele. Herr Dr. Sauer, was verbirgt sich hinter dem Thema „Forschungsfabrik“? Was kann man sich darunter vorstellen und was ist die tra- gende Idee? Dr. Sauer: Die Karlsruher Forschungsfabrik ist eine Initiative des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Fraunhofer Gesell- schaft, die gemeinsam ein Gebäude errichten, das am 30. April 2021 in Betrieb gehen wird. Die Idee dahinter ist, dass wir Produktionspro- zesse, die man nicht mehr bis zum Ende aus- spezifizieren kann, zur Serienreife bringen. Wir stellen angesichts der aktuell bestehenden Herausforderungen wie zum Beispiel Markt- schwankungen oder einer immer höheren Zahl von Produktvarianten fest, dass Ingenieure Produktionsprozesse nicht mehr vollständig ausspezifizieren können. Früher hat man Pro- duktionsprozesse geplant und daraus Anlagen abgeleitet, diese Anlagen ausgeplant, konfi- guriert, zusammengebaut und in Betrieb ge- nommen. Heute laufen diese Schritte parallel ab. Wir versuchen, in der Forschungsfabrik noch nicht vollständig spezifizierte Prozesse trotzdem zum Laufen zu bringen und dennoch gleichzeitig qualitativ hochwertige Produkte zu erzeugen, damit man mit einem neuen Pro- zess für ein neues Produkt sehr schnell am Markt sein kann. Das ist die Idee der Karlsruher Forschungsfabrik. Das heißt, die Karlsruher Forschungsfabrik ist keine virtuelle Denkfabrik, sondern ein reales Gebäude, das in Karlsruhe errichtet wird, wo Forschung und Fertigungspro- zesse wirklich ablaufen werden. Können sie uns etwas über ihre Partner sagen und welche Branchen sie adressieren? Sauer: Wir sind in der glücklichen Lage, dass das KIT mit dem Campus-Ost über ein weit- gehend unbebautes Gelände verfügt, auf dem wir gemeinsam auf ca. 5.000 m2 eine reale Fa- brik errichten. Wir sind drei Partner, die hier zusammen arbeiten: das Fraunhofer Institut für chemische Technik ICT – Spezialisten für Werkstoff- und Verfahrenstechnik. Diese arbeiten u.a. daran, Werkstoffe zu kombi- nieren, Fertigungsprozesse zu entwickeln und Anlagentechnik zu spezifizieren, deren Steuerung und Reglung noch zu entwickeln ist. Dies ist von Bedeutung vor allem auch beim Thema Leichtbau, das wir schwerpunkt- mäßig adressieren, bei der flexiblen Batterie- modul-Montage aus einzelnen Batteriezellen und der variantenflexiblen Herstellung von Elektromotoren. Weiterer Partner ist das KIT mit seinem Institut für Produktionstechnik (wbk). Dies sind Fachleute, die sich detail- liert mit Maschinen und Anlagen auskennen, intelligente Maschinenkomponenten entwi- ckeln und dann für die Prozesse, die das ICT für die verschiedenen Werkstoffe erforscht, Anlagen aufzubauen, zu verketten, zu auto- matisieren und Qualitätssicherungssysteme einzurichten. Hinzu kommt noch die Kompe- tenz der Informationstechnik. Die stellt das Fraunhofer Institut IOSB, aus dem ich komme. Wir kennen uns darin aus, welche Aktorik und Sensorik gebraucht wird und wie man solche Prozesse regelt, sie automatisiert und dann später mit IT überwacht. Und unsere These ist: Wenn wir solche unreifen Produktions- prozesse, die man noch nicht vollumfäng- lich versteht , zum Laufen bringen wollen, müssen wir durch umfängliche Instrumen- tierung möglichst viele Daten generieren und daraus lernen, an welchen Schrauben im Prozess man drehen muss, damit am Ende qualitativ hochwertige Produkte entstehen. Mit Maschinellem Lernen und KI versuchen wir, das zu unterstützen. Dies sind die drei Disziplinen, die wir brauchen: Werkstoff- und Verfahrenstechnik, dafür erforderliche Produktionstechnik und die unterstützende Informatik und IT, damit aus diesen drei Kom- ponenten ein gemeinsames Gebilde wird. Wie kommt es zu diesen unreifen Ferti- gungsprozessen? Sauer: Unreife Prozesse sind Prozesse, für die keine vollständige Tabelle mit Prozesspara- metern existiert, die man an den einzelnen Anlagen und Komponenten einstellen muss, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Man hat also keinen bestimmten Satz an Ma- schinenparametern, den man einstellen muss, um das gewünschte Produkt herstellen zu können. Manchmal hängt es davon ab, wel- Oliver Schonsckek Dr. Olaf Sauer T E I L E N

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