OEM&Lieferant Ausgabe 1/2020

54 Dienstleistungen Neue Kompetenzen für die Produktentwicklung OEM&Lieferant im Gespräch mit Philipp Wibbing, Partner UNITY AG Innovationssprünge der Automobilindustrie resultieren vor allem aus Vernetzung. Erforderlich dafür sind neue Architekturen, die eine weitere Vernetzung im Fahrzeug selbst sowie mit externer Infrastruktur ermöglichen. PhilippWibbing, Automotive-Experte und Partner bei der Managementberatung UNITY, erklärt im Interview, warum die Automobilhersteller für künftige Erfolge den Pfad der evolutionären Entwicklung verlassen müssen. HerrWibbing, die Produktanforderungen in der Automobilbranche ändern sich derzeit stark. Wo sehen Sie die Gründe dafür? Philipp Wibbing: Die Vernetzung der Fahr- zeuge nimmt stetig zu. Zum einen durch die Daten der fahrzeugeigenen Sensoren, die für die Fahrzeugsteuerung interessant sind. Zum anderen aber auch durch eine Vernetzung mit Plattformen, die einen herstellerübergreifen- den Austausch von Sensordaten ermöglichen. Mit dieser breiten Datenbasis lassen sich neue Sicherheitsfunktionen und Geschäftsmodelle realisieren. Hinzu kommen neue Antriebskon- zepte. Diese erhöhen nicht nur die Varianz, sondern haben bauartbedingt erheblichen Einfluss auf die Fahrzeugarchitektur und er- fordern ebenfalls neue Wege in der Produkt- entwicklung. Wie stellen sich die Automobilhersteller auf diesen Wandel ein? Philipp Wibbing: Die Auswirkungen auf die Produktentstehung sind so groß, dass sie mit den bisherigen Methoden nicht zu lösen sind. Bisher ist die Produktentstehung darin perfektioniert, aus einem bestehenden Pro- dukt in ähnlicher bis gleicher Architektur ein Nachfolgeprodukt zu entwickeln. Das Op- timierungsziel der Produktentstehung war stets „Time-to-Market“. Dafür wurde das neue Produkt schnell und implizit in Kom- ponenten zerlegt, die dann einzeln optimiert wurden. Diese Entwicklungsmethode ist je- doch hoch arbeitsteilig und dadurch äußerst komplex. Und diese Entwicklungsmethode verur- sacht Probleme? Philipp Wibbing: Genau. Die Funktion der Komponenten ist zwar beherrscht, ihre Wirk- zusammenhänge wurden jedoch im Vorfeld nicht ausreichend definiert. Das hat zur Folge, dass die Komplexität der Gesamtfunktionen, die quer zu den Abteilungen den Beitrag diverser Komponenten benötigen, große Schmerzen verursacht. Die Probleme, die bei der Integration der einzelnen Komponenten auftreten, müssen dann im Task Force Modus bis zum Anlauf behoben werden. Wie lauten die neuen Anforderungen an die Produktentstehung? Philipp Wibbing: Die wichtigste Anfor- derung ist ganz klar Komplexitätsbeherr- schung. Kurze Entwicklungszyklen sind zwar nach wie vor wettbewerbskritisch, doch die Beherrschung der ständig weiter steigenden Komplexität drängt in den Vordergrund. Jetzt geht es vor allem darum, baugruppenüber- greifend Wirkzusammenhänge von Soft- ware und Sensorik frühzeitig zu erkennen, um das Anlaufchaos bei der Integration zu vermeiden. Welche Methoden und Kompetenzen be- nötigen die OEMs, um bereits im Entwick- lungsprozess die Gesamtfunktionen zu berücksichtigen? Philipp Wibbing: Systems Engineering adres- siert die beschriebenen Probleme: Die impli- zite Dekomposition des Produkts wird durch eine stringente Ausrichtung aller Funktionen auf die Kundenanforderungen ersetzt. Ge- rade digitale Funktionen können mit Systems Engineering unabhängig entwickelt und in Produktprojekte geliefert werden (Stichwort: Product Line Engineering). Eine allgemeingültige One-size-fits-all-Lö- sung existiert jedoch nicht. Manche Branchen, beispielsweise Luftfahrt oder Medizintechnik, sind hier als Vorreiter in einigen Bereichen zu nennen. Doch ein genereller Ansatz, der immer genau die eigenen Entwicklungsziele trifft, existiert auch hier nicht. Eine wesent- liche Herausforderung ist neben der individuell richtigen Produktentstehung auch der Trans- formationsprozess aus der bestehenden in die neue Arbeitsweise. UNITY AG www.unity.de Webseite Bild/Grafik: © UNITY AG Philipp Wibbing Partner UNITY AG Digitale BusinessCard Die Anforderungen an die Komponenten sind nicht aufeinander abgestimmt. Probleme, die bei der Integration erkannt werden, müssen im Task Force Modus behoben werden.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjUzMzQ=