

Wie real sind diese Bedrohungsszenarien
für die Produktion 4.0?
Krägelin:
Mit dem Einzug der Kommunikati-
on über Internet-Technologien in die Fabri-
ken steigt auch das Sicherheitsrisiko. Neben
bekannten Viren bedrohen neue, maßge-
schneiderte Chartprogramme die vernetz-
ten Produktionsanlagen. Sie können Anla-
genparameter ausspionieren, Maschinen
fremdsteuern, Steuerungen manipulieren
oder auch ganze Prozesse lahmlegen. Um
das zu verhindern, müssen Industrie-4.0-
Netze besonders geschützt werden. Sie
brauchen eine ausgefeilte Netztechnik und
effektive Prüfmethoden, die Sicherheitslü-
cken aufdecken und zuverlässig schließen.
Worin unterscheiden sich die Sicherheits-
rahmenbedingungen der Produktion von
denen der Office-IT?
Sauer:
In der industriellen Produktion müs-
sen ganz andere Rahmenbedingungen be-
rücksichtigt werden, wie sie in der Office-IT
so nicht gegeben sind. Die Steuerung von
Produktionsanlagen stellt Echtzeitanfor-
derungen, die Veränderungen auf den Sys-
temen schwierig machen. Das Einspielen
von verfügbaren Software-Patches auf
den Systemen, die Installation von Überwa-
chungs-Software, Malware-Scannern und
Antivirus-Programmen beeinflussen die
Stabilität sorgfältig abgestimmter Prozesse.
Umgekehrt geben Produktionsprozesse die
Bedingungen vor, wann Updates realisierbar
sind. Firewalls im Netzwerk und verschlüs-
selte Verbindungen zwischen den Systemen
können die Echtzeitbedingungen beein-
trächtigen. So ist es beispielsweisemöglich,
dass der Einbau bekannter Sicherheitsmaß-
nahmen aus der Office-Umgebung zwischen
Maschinen den Versand von Nachrichten
verzögert. Das wiederum kann dazu füh-
ren, dass Förderbänder langsamer laufen,
Ventile verzögert schließen, Lichtschranken
falsch auslösen, sich Drehzahlen von Moto-
ren erhöhen oder Steuerungskomponenten
ausfallen.
Das Fraunhofer-Institut IOSB hat ein spe-
zielles Labor aufgebaut, umsichmit diesen
Fragen auseinanderzusetzen. Was unter-
suchen Sie dort?
Krägelin:
Unser Institut hier in Karlsruhe
bietet mit einem speziell für Produktions-
und Automatisierungstechnik ausgestat-
teten IT-Sicherheitslabor eine gesicherte
Testumgebung. Wir können hier potenzielle
Angriffe auf Produktionsnetze nachstellen,
die Auswirkungen untersuchen und so neue
Strategien und geeignete Abwehrmaßnah-
men ableiten. Es ermöglicht unseremTeam
aus Forschern auch, die Sicherheitsfunkti-
onen der gängigen Kommunikations-Stan-
dards und -protokolle für industrielle Auto-
matisierungssysteme zu bewerten. Diese
regeln unter anderem die Datenverschlüs-
selung gegen Produktpiraterie, Spionage
und Sabotage.
Wie ist das Testlabor ausgestattet und
welche Szenarien können darin simuliert
werden?
Sauer:
Unser Labor verfügt über eine eigene
Modellfabrik mit realen Automatisierungs-
komponenten, z.B. Steuerungen und Senso-
ren, die eine simulierte Produktionsanlage
samt Fördertechnik, Elektromotoren, Ro-
botern und Hebeeinrichtungen steuern. Alle
Netzwerk-Ebenen einer Fabrik sindmit typi-
schen Komponenten vorhanden, darunter
Firewalls, Switches und Komponenten für
Funkübertragung. Eine eigene Private Cloud
erlaubt es unseren Experten, unterschied-
liche Konfigurationen flexibel einzurichten
und die Modellfabrik auf verschiedene Sze-
narien einzustellen. In der Cloud könnenwir
virtuelle Firewalls, PCs, Client-Rechner da-
zuschalten und gesamte Netzwerkstruktu-
ren per Mausklick ändern. Aus der Cloud he-
raus können wir eine Malware-Erkennung
starten und etwa Steuerungen und Anlagen-
visualisierungen auf Infektionen prüfen. Wir
Sicher produzieren
in der Industrie 4.0
Interviewmit Dr.-Ing. Olaf Sauer und Dipl.-Inform. Birger Krägelin
Wie sicher ist die neue Produktionswelt der Industrie 4.0? Nicht nur aus Hollywoodproduktionen wissen
wir umdieMöglichkeiten, mittels Space Invaders in fremde Daten- und Produktionssysteme einzudringen,
sie zu stören, zu verlangsamen, Produkte, Verfahren und Prozesse zu kopieren oder Systeme gänzlich
lahmzulegen. Wie real ist diese Bedrohung und was kann getan werden, um Produktionssysteme künftig
gegen diese Bedrohungsszenarien abzusichern? OEM und Lieferant sprach mit Dr.-Ing. Olaf Sauer, Leiter
Geschäftsfeld Automatisierung, und Dipl.-Informatiker Birger Krägelin, IT-Sicherheitsbeauftragter, beide
am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Karlsruhe.
Bilder:© IOSB
Dr. Olaf Sauer
Dipl.-Inform. Birger Krägelin
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